Dienstag, April 01, 2008

Wissenschaft und Verantwortung

Aus diesem Diskussions-Schnipsel soll ein Artikel werden.

Vorab: Mal wieder glaube ich nicht, dass wir allzu fern voneinander sind, sondern Neigung haben, philosophische Windmühlen für Gegner zu halten.

martin schrieb am 01.04.2008 10:52 Uhr: sicherlich ist Geschichtswissenschaft auch politisch, was du aber forderst ist eine historisch erweiterte Rechtswissenschaft, die ihre Erklärungsmodelle einzig unter dem Primat einer jurisdiktiv-normativen Ethik zu entwickeln hätte. Eine solche Verabsolutierung ...

Nicht "einzig", nicht verabsolutierend, sondern im Bewusstsein ethischer Verantwortung.

martin schrieb: ... und erklärt Wissenschaft zum Instrument der Weiterentwicklung des Völkerrechts.

Sofern es Bezug hat. Daran kann es fehlen (isolierte Kulturen), aber häufig genug wird es ausgeblendet, Geschichte auf eine Physik reduziert, die sich bis in die heutige Geschichte von morgen reproduziert.

Jeder Diskurs über die Weiterentwicklung des Rechts setzt den Blick auf das Verhältnis von historischen Ereignissen und moralischen Beweggründen voraus.

martin schrieb: Das aber widerspricht einem geistes- und sozialwissenschaftlichen Ideal der Unabhängigkeit von übergeordneten Zwecken ...

Das geistes- und sozialwissenschaftliche Ideal sehe ich in der Abhängigkeit von geistiger und sozialer Verantwortung.

Die vielen Jahre, die ich durch politisches Mandat mit der Wissenschaftsfinanzierung (FU-Berlin) befasst war, zeigten mir, dass die Freiheit der Wissenschaft stets im Wettstreit der Abhängigkeiten von übergeordneten Zwecken stand.

Desgleichen zeigt sich dem Geschichts- und Sozialforscher zumeist auch im Forschungsgegentstand: z.B. Nationalismus, Gewinnstreben, Befreiung, Missionierung als "übergeordnete Zwecke" von Geschichte = Politik in der Geschichte.

Deshalb steht auf www.inidia.de/freiheit.htm , dass wer von nichts und niemandem abhängig sein möchte, nicht frei, sondern einsam sei. Die Freiheit, so auch der Wissenschaft, ist ohne Zwecke ...los, allenfalls und immerhin Hobby könnte es sein.

Ich halte also nichts von der Idealisierung der Unabhängigkeit, sondern schließe von meinen eigenen Abhängigkeitserfahrungen auf eine Verallgemeinerbarkeit dahin, dass die Freiheit (etwas zu denken, tun oder lassen) von der Qualität der Abhängigkeiten abhängig ist.
Bildhaft, ob es eine Vielzahl von Fesseln sind oder eine Vielzahl von Chancen und Sicherungen. Wenn davon einzelne verloren gehen, so kann man gebundener oder freier sein, wie auch umgekehrt, wenn einzelne ergänzt werden.
Auf die Zwecke der einzelnen Bindungen kommt es insofern an, als dass sich an ihnen die Wirkungen messen lassen, die sich von den Zwecken nochmals gewaltig unterscheiden können oder sie als vorgeschoben entlarven.

martin schrieb: und wäre dem Erkenntnisprozess selbst wenig förderlich - ganz unabhängig davon, wie sinnvoll jene übergeordneten politischen Zwecke tatsächlich sind.

... oder sie als vorgeschoben entlarven, in Geschichte bis heute - wäre dem Erkenntisprozess durchaus förderlich.

martin schrieb: Darüber hinaus ist ein Fünfjahresintervall eine historiographische Sekunde, das Geschehen und die Folgen noch allzu präsent, die Gegenwart darin verstrickt, die Protagonisten und Entscheidungsträger noch zu gegenwärtig als dass man schon jetzt von so etwas wie wissenschaftlicher Aufarbeitung ausgehen könnte.

Stimmt, denn es sind viele sehr daran interessiert, ihre persönlichen Geschichten zur Geschichte zu machen, einschließlich der Verkleinerung und Vernichtung möglichst vieler Zeugnisse, die ihre Version untergraben.

Ansonsten aber sollte es eigentlich ideal für die geschichtswissenschaftliche Aufarbeitung sein, dass noch Zeugen leben.

MSR